Heimatverein Lutherstadt Wittenberg und Umgebung e.V.
  Traum des Kurfürsten
 

Der Traum Kurfürst Friedrichs des Weisen

In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 1517 hatte Kurfürst Friedrich der Weise, Luthers Landesherr, auf Schloss Schweinitz dreimal hintereinander den gleichen Traum. Er war davon sehr beunruhigt.

Am Morgen erzählte er seinem Bruder, Herzog Johann, davon und fragte ihn, was er davon halte, ob er ihn zum Guten oder Schlechten ausdeuten würde.

»Als ich mich am Abend matt und müde zu Bett legte«, begann Friedrich seine Erzählung, »schlief ich nach dem Nachtgebet ein und habe wohl so an die zweieinhalb Stunden geschlafen. Da erwachte ich und lag bis über Mitternacht wach. Ich dachte darüber nach, wie ich und mein Hofgesinde allen lieben Heiligen zu Ehren fasten und ihre Jahrestage begehen sollten, ich betete für die armen Seelen im Fegefeuer, bat Gott um Gnade und dass er meine Räte und mein Land in rechter Wahrheit leiten und zur ewigen Seligkeit führen, auch alle bösen Buben von unserer Herrschaft fernhalten möge und anderes mehr.

Allmählich schlief ich wieder ein, und da träumte mir, dass Gott einen Mönch von feinem und ehrbarem Angesicht zu mir geschickt habe, und der war der Sohn des Apostels Paulus. Zu Gefährten hatte er alle lieben Heiligen, des zum Zeugnis, dass er wahrhaftig von Gott und nicht vom Teufel gesandt sei. Er bat mich im Namen des Herrn um die Erlaubnis, etwas an die Schlosskirche zu Wittenberg schreiben zu dürfen, und das würde mich nicht gereuen.

Ich gestattete es, und er begann zu schreiben mit so großen Buchstaben, dass ich es in Schweinitz lesen konnte, und mit einem Federkiel, der bis nach Rom reichte und mit dessen oberem Ende er einem dort liegenden Löwen beide Ohren durchbohrte, ja, es stieß bis an die dreifache Papstkrone, dass sie wackelte und herabzufallen drohte. Da streckten wir, Euer Liebden und ich, unsere Arme aus, um sie vor dem Fall zu bewahren. Darüber erwachte ich und hatte noch den Arm ausgestreckt.

Bald schlief ich wieder ein, aber der Traum überfiel mich erneut. Der Mönch schrieb und schrieb und stach immer weiter durch die Ohren des Löwen auf den Papst. Da begann der Löwe plötzlich so gräulich zu brüllen, dass ganz Rom und alle Stände des Heiligen Römischen Reiches zusammenliefen, um zu erfahren, was es gäbe. Da forderte der Papst die Stände auf, dem Mönch das Schreiben zu wehren, und sie wandten sich an mich, als Landesherr sollte ich ihm das untersagen.

Wieder erwachte ich darüber und wunderte mich nur, dass der Traum sich wiederholt hatte. Ich bat Gott, er möge den Papst vor allem Übel bewahren. Wieder eingeschlafen, träumte mir zum dritten Mal von dem schreibenden Mönch und dass die Reichsstände und wir, Euer Liebden und ich, in Rom wären und versuchten, die lange Feder zu zerbrechen, damit der Papst durch sie nicht mehr belästigt werde. Aber die Feder schien aus Eisen, und sie knarrte bei dem Versuch, sie zu knicken, so sehr, dass es mir in die Ohren stach und durchs Herz ging. Da schwante mir, dass der Mönch vielleicht mehr könne als nur Brot essen.  

Enttäuscht zog alles aus Rom ab und war besorgt, dass der Mönch Schaden anrichten könnte.

In mein Land zurückgekehrt, fragte ich ihn, woher er diese Feder habe, die so fest und zäh ist. Da ließ er mir sagen, sie stamme von einer hundertjährigen böhmischen Gans, einer seiner alten Schulmeister habe sie ihm verehrt, und er habe sie selbst zurechtgeschnitten. Dass sie so unverwüstlich sei, liege daran, dass man ihr den Geist nicht nehmen noch ihr – wie bei anderen Federn – die ›Seele‹ herausziehen könne. Darum habe er sie aufbewahrt und bediene sich ihrer. Da plötzlich verbreitete sich das Gerücht, dass aus dieser wundersamen Feder weitere herauswüchsen und dass sich viele gelehrte Männer in Wittenberg um diese jungen rissen, von denen es hieß, sie würden auch so lang und fest werden wie die Feder des Mönchs.

Als ich endlich beschloss, mit dem Mönch zu reden, erwachte ich und konnte nicht wieder einschlafen. Ich prägte mir alles ein, was ich geträumt hatte, und sann, was das alles zu bedeuten habe.«

Außer mit seinem Bruder sprach der Kurfürst Friedrich auch mit seinem Kanzler über den sonderbaren Traum. Beide meinten, von Träumen sei nicht viel zu halten, aber man solle sie auch nicht ganz verachten. Und sie fügten hinzu, wenn man nur wüsste, ob der Traum von Gott oder vom Teufel eingegeben sei. Schließlich rieten sie dem Fürsten, sich darüber nicht länger zu grämen und zu martern. Zu rechter Zeit werde die wahre Bedeutung des Traums wohl noch ans Licht kommen.

Der Kurfürst aber sagte: »Mir geht der Traum nicht aus dem Sinn. Ich hätte schon Gedanken, wie er auszulegen sei, aber die behalte ich vorerst noch für mich. Ich werde sie jedoch aufzeichnen, und vielleicht werde ich dann später erfahren, ob ich das Rechte getroffen habe.«

Quelle: Erinnerungen an Martin Luther_Manfred Lemmert