Heimatverein Lutherstadt Wittenberg und Umgebung e.V.
  Maifeier und Pfingsten im alten WB
 

Maifeier und Pfingsten im alten Wittenberg

 

Wir kennen und üben heute zum Teil noch alte Gebräuche, ohne zu wissen, woher diese stammen. Der Frühling, mit der Freude über die er­wachte Natur, fand schon immer im Pfingstfest mit allerhand Volksbelusti­gungen seinen Ausdruck. In einigen Dörfern unseres Kreises oder der Nachbarschaft finden Pfingsten Ring­reiten, Tänze im Freien und das Auf­richten von Maibäumen mit Kränzen statt.

Wir erinnern uns an die alten Ge­werke, die laut Urkunde 1356 genannt werden mit den Gewandschneidern, Tuchmachern und Gewandmachern. Die Innungen hielten ihre Haupt­versammlung, früher „Morgensprache“ genannt, zu Pfingsten ab. Vor geöff­neter Lade wurden die Innungsartikel verlesen, Streitigkeiten geschlichtet und Gesellen- und Meisterstücke be­gutachtet. Anschließend mussten die Neuaufgenommenen ein „Meesteressen“ geben. Noch 1838 weist eine Rechnung darüber nach, dass an sol­chem Tag z. B. von den „Nadlern“, etwa 12 Mitglieder, allein ohne die vielen Getränke 33 Pfund Schöpsen­fleisch und 9 Pfund Rindfleisch ver­tilgt wurden!! — Aus dem Jahre 1553 berichtet ein Augenzeuge aus Witten­berg über die Maifeier . . . „in festo die Johannis Baptistae haben die pro­fessores zu Wittenberg einen meidag zusamment gehalten. So ist auch die gewonheit, das einen meibaum die jungfrewlein auf die gassen setzen, behengen den mit vilen krentzlein. Es kommen auch wol gselln, so da pflegen feine meistergesang!!! oder andere etlich geseng zu singende, dnen die jungfrewlein dar mit crenzen verehren. . .“

Interessant ist aus diesem Bericht auch die Schilderung eines Unwetters über Wittenberg. „Eben auch in die­sem iare auf den      Pfinxstabent kam zu Wittenberg ein harth swer und ungstüm haglwetter mit winde, regen und schlossen, etwa um 1 Uhr im Mit­tag, das so sehr hagelte, das beynach keine fenster, die es allein dreffen kunt, gantz plieben, sondern wurden beynach gantz und gar rein ausgeslagen, das allein Dr. Pommeranus (Bugenhagen) in seinem eigenem hause in der gassen nach der wintmülen (heute Neustraße) woll für 100 flor. an fenstern schaden dathe.“

Wie die Innungen der Handwerker zu Pfingsten ihre „Morgensprache“ abhielten, so kamen auch die Hüfner aus den Vorstädten jährlich zu diesem Ter­min zusammen. Früher rechnete man den Ackerbesitz nach Hufen, wobei eine Hufe mit 30 bis 60 Morgen an­zusetzen       ist. Hier galt der „flämingische Hufen“. Die im 12. Jahrhundert eingewan-derten Niederdeutschen hiel­ten fest an ihren Rechten, Sitten und Gebräuchen. Wie die Handwerker, be­wahrten sie die alten Akten in ihrer Lade auf. Sie nannten sich „Hüfner- Gesellschaft auch -Zunft“.

In einer alten Akte heißt es: „Die Feldmark Wittenberg, besteht mit Ausnahme der Mark Schmalbeck, welche erst im Jahre 1870 mit dem Gemeindebezirk Wittenberg vereinigt worden und alleiniges Eigenthum des hiesigen Kirchen-Ärars ist, seit Jahr­hunderten aus den drei voneinander gesonderten Hufenschlägen, die Stadthufen, die Kabelhufen, die Mark Bruder-Annendorf. Die Besitzer von Grundstücken in diesen 3 Hufenschlägen bilden bis heute unter sich sogenannte Ackerschaften. an deren Spitze je ein Hu­fenrichter steht. Für jede der drei Hufenschaften war vom Rath der Stadt Wittenberg unterm 23. September 1619 eine Hufenordnung erlassen, welche in 20 Artikeln die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Ackersleute, Grenzbeziehungen, Auflagen, Strafen, Grabenräumung pp. ordnete. Den Hu­fenrichtern lag die Leitung der Acker­schaft ob…“

Die Hufenordnung ist heute noch erhalten in einer Abschrift in der Lade der Hüfnerschaft Bruder-Annendorf beim letzten Hufenrichter Friedrich Präger (verstorben 2015) in Friedrichstadt.

Die Hüfnerschaft Bruder-Annendorf umfasste 21 Hufen von 15 Hufenbesit­zern. Hier wird 1 Hufe mit 48 Mor­gen gerechnet. Um Pfingsten fanden unter Beteiligung aller Hüfner Grenz­begehungen statt, die man „Grenze­ziehen“ nannte. Dabei wurde die Versteinung nachgemessen mit „Ruten“. Der Flurhüter trug die Messlatte, welche mit einem Strauß geschmückt war. Alle Beteiligten erschienen fest­lich in schwarzen Röcken mit Zylin­der und trugen einen blankgeputzten Spaten aber nur in der Hand; denn es heißt in einer Akte „…wer die Spade auf die Grenze auf die Schulter nimt zahlt 1 Thaler!!“ Musik marschierte dabei überall mit und musste bei einer Steinsetzung so lange spielen, wie die Arbeit dauerte. Es durfte aber bei dieser feierlichen Sache nicht geraucht oder Schnaps getrunken werden. „Sal­ten sie sich aber auf die Grenze zan­ken und schimfen so kostet jedes schimfword !!! 4 Thaler Corant, solten sie sich aber gar schlagen so sol der unrecht habente Teil nach erkentniß der ganzen Gemeine bestraft werdn…“

Aus den Papieren aus den Jahren 1836 und 1842 ersehen wir noch viel Originelles. Es sei hier nur noch er­wähnt, dass eine Zusammenkunft aller Beteiligten nach der schweren Arbeit im Gasthof stattfand, wo es hoch herging. So heißt es über die „Sitzung“ 1836: „Bey diesen Grenzug sint 3 Vier­tel und 1 Tonne Bier und 8 Kannen Brandewein und 8 Buttelgen Wein ge­trunken worden…“, 1842 „sint 2 Vier­tel Bier und 5 Kannen Brandewein ge­trunken worden und hat den mann nichts gekostet es ist alles durch Strafe und Beydräge bezahlt worden.“

So feierten früher die Menschen un­serer Heimat den Mai und Pfingsten froh im Kreise ihrer Mitarbeiter. An uns liegt es nun, diese alten Sitten in neuer Gestalt zu beleben. Denken wir dabei an das Wort Goethes: „Ta­ges Arbeit, abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste . . .“

Eine Nachbetrachtung von Fritz Tamm

„Freiheit“ 25. Mai 1956

Überarbeitet und gekürzt Elke Hurdelbrink