Heimatverein Lutherstadt Wittenberg und Umgebung e.V.
  Rat überwachte die Keuschheit
 
Warum legte sich auch der Müllergeselle in einer" Wittwen Beth "?
Der Wittenberger Rat überwachte die Keuschheit
VON HEINRICH KÜHNE †
 
Zu einer der wichtigsten Aufgaben erachtete der Rat der Stadt Wittenberg die Überwachung der
Keuschheit seiner Bürger. Immer wieder kam es vor, dass er sich zum Eingreifen genötigt sah.
Wie konnte auch der Bäcker Adam Krebß vor der Ehe "sein Weib zu zeitlich erkannt, ob sie zwar
den siebenten Monath erreichtt, hatt er doch die frühzeitige Vermischung gestanden und doch sie
vor Jungfer mit Spiehlleuthen in die Kirche gangen, auch mit den Trompeten sehr praviret
(voranschreitend) ungeachtet der schweren Einquartierungen".
Es war im Jahre 1638 und der Hinweis bezog sich auf die durchziehenden Soldaten im
Dreißigjährigen Krieg. Die Anordnung lautete, dass nur die jungfräuliche Braut bei der Trauung
einen geschlossenen Myrtenkranz im Haar tragen durfte, heiratete eine Witwe noch einmal, musste
der Kranz offen sein. Hatte nun eine bisher ledige Frau bereits vor der Ehe ein Kind, war das
Tragen des Kranzes gänzlich verboten. Noch um 1900 nahm ein Pfarrer einer solchen Braut vor
Eintritt in die Stadtkirche den Kranz ab.
Kam es nicht zu einer Eheschließung zwischen zweier Liebenden und die ledige Frau bekam ein
Kind, dann musste die Hebamme, damals Wehemutter genannt, dem Rat der Stadt davon
Mitteilung machen. In der Kämmereirechnung von 1569 und auch in folgenden Jahren erscheint
stets eine Ausgabe für die Anschaffung einer Haube, die die Geschwängerte tragen musste.
Während der Buchbindergeselle Hans Heldter        
   
hingerichtet wurde, hatte die aus Glaubitz
stammende Anna Küntzel dadurch Glück, dass
sie von ihm schwanger war, sonst wäre sie
auch unter dem Fallbeil geendet. "Weil sie
hohen Leibes gewesen, ist sie ohne öffentliche
Schande bei den Gerichten auf ihr Leben lang
verwiesen worden", d. h. sie musste die Stadt
verlassen und einen anderen Ort aufsuchen.
Eine andere Kennzeichnung der ledigen
Schwangeren war der Schleier, den sie zu
tragen hatte. Waren die bei den hiesigen
Wehemüttern auswärts oder anderweit
beschäftigt, musste der amtliche Marktmeister
einen solchen kaufen, den der Rat bezahlte.
Diese zusätzliche Aufgabe musste er neben
seiner Tätigkeit bei Markttagen auf dem
Marktplatz leisten. Ferner gehörte zu seinen
Obliegenheiten die Aufsicht über die Frauen
und Mädchen im Freudenhaus, das früher an
der Ecke zur Mauer- und Bürgermeisterstraße
stand.
1595 hatte der Siegelgräber-Geselle Hans Zacke die Tochter seines Meisters geschwängert. Das
kam ihm teuer zu stehen, denn er erhielt deswegen eine Strafe von 3 Schock 30 Groschen,
außerdem musste er noch acht Tage ins Gefängnis. Man muss es ihm hoch anrechnen, dass er nach
dem Absitzen der Strafe sofort seine Liebste heiratete. Völlig ungehobelt benahm sich der
Fischhändler aus Treuenbrietzen, der bei der Tochter von Martin Körber nicht "landen" konnte.
Mitten auf dem Fischmarkt begegnete er ihr und da ließ er sich hinreißen, indem er sie "mit
eingesalzenen Fischen ins Gesicht schlug, dass sie umgefallen". Diese rabiate Brautwerbung
brachte ihm eine Strafe von 21 Groschen ein. Viel zu hoch erscheint mir die Strafe, die zwei Jahre
später der Mühlknecht Martin Wilke aus Kerlbitz zu entrichten hatte, weil kein Zeuge vorhanden
war, der Genaues mitteilen konnte, was "er in einer Wittwen Beth gelegen" mit ihr getrieben hatte.
Seine Strafe betrug 48 Groschen.
Reiche und gutsituierte Bürger konnten es sich leisten, ihre einen Fehltritt begangenen Töchter
längere Zeit in ein Dorf der Umgebung zu bringen, dann war die Taufe in der jeweiligen
Dorfkirche eingetragen und stand nicht im Wittenberger Kirchenbuch.
Anmerkung: Währung im 16. Jahrhundert in Sachsen 1 Schock = 60 Groschen
Beispiele: Tagelohn eines Zimmermanns oder Maurers 3 Groschen; 500 g Butter 2 Groschen