Heimatverein Lutherstadt Wittenberg und Umgebung e.V.
  Der Hauptbahnhof
 
 

Ein Wahrzeichen unserer Stadt - der Hauptbahnhof,

welches vor 138 Jahre entstanden ist, wird in den nächsten Monaten abgerissen.

 
Viele ärgerten sich über den langen Weg von der Post zum Bahnhof. Ab der Eisenbahnbrücke sah man zwar das Bahnhofsgebäude, es war aber noch ein gutes Stück zu laufen. Warum gab es nicht eine Tunnelverlängerung zum Güterbahnhof? Erst 1998 im Rahmen des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 8.3 baute man einen neuen 42 m langen Tunnel und einen neuen Busbahnhof auf dem Gelände des alten Güterbahnhofes.
Von 1888 bis 1921 gab es eine Pferdebahn vom Bahnhof zum Markt.

Trotzdem war der Weg mit den Koffern, Taschen und Kindern beschwerlich. Ein Taxi zu bekommen war Glücksache, später gab es
eine Busverbindung.

Der Bahnhof war nur von Süden erreichbar, denn rechts waren die Bahnsteige 5/6 nach Dessau/Falkenberg und links der Bahnsteig 2 nach Berlin, der Bahnsteig 2a, ein ganzes Stück in Richtung Norden nach Zahna und der Bahnsteig 1 nach Halle/Leipzig. Die Vorderansicht zeigte uns den Giebel mit den großen halbrunden Fenstern und den zentralen Eingang. Vor wenigen Monaten war
noch die Leuchtschrift "Hauptbahnhof Lutherstadt Wittenberg" zu sehen. Einige Stufen führten zu einem Vorraum, dann kam man in die
Empfangshalle, links waren einst die Fahrkartenschalter, gegenüber ein Kiosk und rechts die Gepäck- und Güterabfertigung, zuletzt das Reisezentrum. Im Laufe der Jahre wurde viel in diesem Bereich umgebaut. So wanderte der Kiosk mit Getränken, Wurst, und Zeitungen von dort nach Bahnsteig 2, von der Südecke  bis zum nördlichen Teil des Bahnhofs.

Vom Zwischengebäude aus gingen zu beiden Seiten Türen zu den Bahnsteigen.
Wer kennt noch die kleinen Häuschen, in denen der Schaffner die Fahrkarten kontrollierte und kurz vor Einfahrt des Zuges die Türen
öffnete. Man musste sogar eine Bahnsteigkarte lösen, um seine Gäste am Zug abzuholen bzw. zu verabschieden.
Ging man geradeaus im Gebäude, waren links die Toiletten und dann kamen zwei große Flügeltüren. Die eine führte zum Restaurant - die Mitropa. Hier konnte man schnell eine Mahlzeit zu sich nehmen. Der andere Raum war der Warteraum.
Von der Bahnhofseite gesehen, waren es drei Gebäude, die am Ende des 2. Weltkriegs stark beschädigt wurden, sodass der Orginalzustand nicht wieder ganz hergestellt wurde.
Wann wurde der Bahnhof erbaut? War er der erste Bahnhof?
Ich blättere in der Schriftenreihe des Stadtgeschichtlichen Zentrums Wittenberg, Heft 14,
"150 Jahre Eisenbahn in Wittenberg - zur Geschichte der Eisenbahn in und um Wittenberg 1841 - 1991", von Hilmar Spanel.
Dort erfahre ich, dass am 13. November 1877 das neue Empfangsgebäude mit geladenen Gästen feierlich eröffnet wurde. Weiter
heißt es, die Reisezüge fuhren seit diesem Tage von den je zwei Bahnsteigen der Nord- und Südseite ab, richtiger ist West- und Ostseite. Die Bezeichnung stammt von Franz Schwechten und war in den Bahnunterlagen so fortgeführt worden. Ein Personentunnel war noch nicht vorhanden, später gab es einen Personaltunnel.

Architekt und Baumeister des dritten Wittenberger Bahnhofsgebäudes war Franz Schwechten (12.08.1841 - 11.08.1924). Er leitete von 1871 bis 1882 das Hochbaubüro der BAE, und nach seinen Entwürfen wurden auch das Empfangsgebäude des Bahnhofs Dessau (1876) sowie der (leider zum größten Teil verschwundenen) große Berliner Anhalter Bahnhof (1880) gebaut. Seinem Genie entstammten weiterhin uns bekannte Bauwerke wie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, das Hauptgebäude der Kreisverwaltung und das Wittenberger Melanchthongymnasium sowie viele andere bedeutende Bauten in ganz Deutschland. Typisch für die Schwechten-Bauten waren die romanischen Rundbögen an den Türen, Fenster und Durchgänge. Einige Wittenberger Bürger werden dem Bahnhof nachtrauern, aber viele freuen sich schon auf den neuen Grünen-Bahnhof. Allzeit gute Reise!
D. Schubert