Heimatverein Lutherstadt Wittenberg und Umgebung e.V.
  Der Feldmarschall und die Apfeltorte
 

Der Feldmarschall und die Apfeltorte

Wie Wittenberger Köstlichkeit in die Geschichte einging -

Erwähnung auch bei Theodor Fontane


In einem der Hefte des Magazins der Deutschen Stiftung Denkmalschutz "Monumente" wird von der Hochzeit des Preußenprinzen Friedrich Wilhelm mit der Tochter der englischen Königin Viktoria, die den Namen ihrer Mutter trug - in der Familie Vicky genannt - berichtet. Der Prinz starb als König Friedrich II. nach nur 99 Tagen Regierung 1888 an Kehlkopfkrebs.

Diese Hochzeit findet am 25. Januar 1858 in der St. James Chapel in London bei schneidender Kälte statt. Nach einigen Flittertagen im Schloss Windsor treten die Neuvermählten die Reise nach Berlin an. Mit der königlichen Yacht "Viktoria und Albert" fährt man über den Kanal nach Antwerpen und nach einem Mitternachtsball in Brüssel wird die Reise mit der Eisenbahn über Hannover und Magdeburg nach Berlin fortgesetzt.

Kurz vor der Einfahrt des Zuges in Potsdam wird er auf freier Strecke angehalten. Zu dem Brautpaar steigt Preußens berühmter Feldmarschall von Wrangel, um es im Namen der preußischen Armee willkommen zu heißen. Der 73-jährige Heerführer sorgt ganz ungewollt für Heiterkeit. Als der Zug plötzlich anruckt, setzt er sich in eine mit Zuckerschaum gedeckte Apfeltorte. Man hatte sie vorher dem jungen Paar in Wittenberg in den Zug gereicht und dann auf einen der Sitze gelegt. Während die Prinzessin es nicht fertig bringt, ihr Lachen zu unterdrücken, bemühen sich ihre Ehrendamen um das Hinterteil des Feldmarschalls, damit er sich in Berlin vor seinem König und der Königin sehen lassen kann. Eine der künftigen Ehrendamen der Prinzessin Vicky war die 18 Jahre junge Gräfin Walpurga von Hohenthal, die Urgroßtante von Peter Graf von Hohenthal aus Wartenburg.

Laut einem Beitrag des gebürtigen Wittenbergers Siegfried Grempe 1995 in der "Elbe-Elster-Rundschau" stieg der preußische König Friedrich Wilhelm IV. fast jedes Mal am Wittenberger Bahnhof aus, wenn seine Reise diese Stadt berührte, um sich vom Bahnhofswirt, dem königlichen Hoftraiteur (Hoflieferant) C. H. Lantzsch, der auch Besitzer des Hotels "Stadt London" war, einen Imbiss und die berühmte Wittenberger Apfeltorte kredenzen zu lassen. Auch sein Nachfolger Prinz Wilhelm, der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I., soll es so gehalten haben.

Dieser hatte eine besondere Vorliebe für den "dicken Herrn Lantzsch". Es kann sich nur um das erste Wittenberger Bahnhofsgebäude handeln, das, als Fachwerk in Halbmassivbauweise im Schweizer Stil errichtet, nachweisbar das älteste noch erhaltene ehemalige Bahnhofsempfangs-Gebäude Deutschlands darstellt.

Der Hoftraiteur Lantzsch hatte dort die Gast- und Wirtschaftsräume angemietet. Auch dem Dichter Theodor Fontane war die Wittenberger Apfeltortengeschichte bekannt. In seinem Roman "Stechlin" lässt Fontane im 33. Kapitel das Hochzeitspaar Armgard und Woldemar die Hochzeitsreise nach dem Süden antreten, die wie damals üblich über Dresden ging. Im 35. Kapitel heißt es dann: "In diesem Augenblick ging draußen die Klingel. Es war Melusine. ,Bringe den Vätern, respektive Schwiegervätern allerschönste Grüße. Die Kinder sind jetzt mutmaßlich schon über Wittenberg, die große Luther - beziehungsweise Apfelkuchenstation, hinaus und in weniger als zwei Stunden fahren sie in den Dresdner Bahnhof ein.´"

von Dr. Luitfried Bergmann (V)

 

Warum fuhr das Brautpaar über Wittenberg?

1858 haben sie geheiratet. Nach einige Tagen traten sie die Reise nach Berlin an. Der direkte Weg von Magdeburg nach Berlin ist bereits vorhanden. Weshalb der Umweg? Besuchten sie Anhaltische Fürsten in Köthen oder Dessau oder gar in Zerbst?

Hier einige Fakten zur Eröffnung von Bahnlinien:

Magdeburg und Braunschweig waren bereits 1843 mit einer Bahnstrecke über Wolfenbüttel, Jerxheim und Oschersleben verbunden worden. Diese Trasse machte zwar einen Umweg nach Süden, führte aber durch bautechnisch einfaches Gelände, 1844 folgte die Bahnstrecke Hannover–Braunschweig, 1846 diejenige von Magdeburg nach Potsdam. (Magdeburg-Potsdam-Berlin Eisenbahngesellschaft)

Am 18. August 1840 wurde die Bahnstrecke von Magdeburg nach Leipzig eröffnet.

1841 war die Bahnlinie Berlin (Anhalter Bahnhof) über Wittenberg und Dessau nach Köthen betriebsbereit.

Um 1875 gehörten die Bahnstrecken Magdeburg-Köthen-Leipzig und Köthen-Dessau-Wittenberg-Jüterbog-Berlin  zur Berlin-Anhaltische Eisenbahn-Gesellschaft.

 

D. Schubert